Deichbau und Küstenschutz in der Wesermarsch

Chronik

Deichausbau im II. Oldenburgischen Deichband im 20. Jahrhundert

Seit der Jahrhundertwende bis nach dem 2. Weltkrieg bzw. bis zur Hollandflut 1953 ist im Grunde sehr wenig am Bestick und Verlauf der Deiche verändert worden, abgesehen von dem Ausbau der Hunte und der damit verbundenen Verlegung der Deiche (20er Jahre), der Bedeichung des Langwarder Grodens mit einem Vordeich (1933) sowie der Vordeichung am Blexer Groden (1939) im Rahmen des Flughafenbaus durch die Luftwaffe.

Die Schwerpunkte des Küstenschutzes lagen vorwiegend im Bereich des Uferschutzes durch den Bau von Buhnen, Schlengen und Deckwerken sowie in der Anlage von erhöhten Deichaußenbermen („Keilanlagen“) zur Minderung der Belastung des Deiches durch den Wellenauflauf hauptsächlich im Bereich der scharliegenden Deiche Butjadingens zwischen Langwarden – Eckwarden -Beckmannsfeld sowie der durch Lage zur Hauptwindrichtung stärker bean­spruchten Deichstrecken im Bereich Waddens/Tettens und am südöstlichen Jadebusen (Sehestedter Deich).

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Nachkriegsjahre

In den Nachkriegsjahren wurden die Arbeiten zur Instandsetzung der streckenweise stark vernachlässigten Deiche durch Materialengpässe, Treibstoff- und Arbeitskräftemangel sowie Stromabschaltungen stark beeinträchtigt.

Für die ersten Jahre nach dem Kriege stellte der Deichband einen internen 10-Jahresplan (1948-1954) auf, der seine Bestätigung nach der Hollandflut von 1953 auch auf höherer Ebene erfuhr und nach der Sturmflut vom 23. Dez. 1954 (deren Wellenauflauf nach Einmessungen der Treibgutgrenzen stellenweise nur 6-7cm unter der obersten Deichkappe lag und den Deich auch streckenweise überspülte) zur Aufstellung des Niedersächsischen Küstenprogrammes 1955-1964 führte. Folgende vordringliche Ziele wurden hierin definiert und durchgeführt.

Anfang der 50er-Jahre

  • Verstärkung und bestickmäßige Herstellung der Huntedeiche, insbesondere die Strecke Reithörne bis Huntebrück (bereits seit 1948 in Durchführung).
  • Weiterer Ausbau der Schlengen und Buhnen sowie Herstellung der bewährten Keilanlagen mit schwerem Deckwerk zwischen Langwarden und Eckwarderhörne.
  • Herstellung bzw. Instandsetzung von Bruch- und Ziegelsteinbänken zur Sicherung des Vorlandes im Bereich Burhave bis Fedderwardersiel.

Mitte der 50er-Jahre

  • Bestickmäßige Aufhöhung und Verstärkung des Seedeiches im Bereich Tettens und Waddens.
  • Erhöhung und Verstärkung des Seedeiches von Eckwarderhörne bis Eckwarder Speicher als Betonstützmauer, weiter bis Beckmannsfeld in Erdbauweise unter Instandsetzung der Fußsicherung des Deiches mit einem schweren Deckwerk.
  • Bestickmäßige Aufhöhung und Verstärkung des Seedeiches im östlichen Jadebusen, Augustgroden bis Sehestedt.

Anfang der 60er-Jahre

Erhöhung und Verstärkung des Huntedeiches im Stadtgebiet von Elsfleth durch den Bau einer Flutmauer.

Die Umsetzung und insbesondere die Finanzierung dieser Arbeiten war teilweise nur mit Hilfe des Arbeitsbeschaffungsprogramm von 1954 möglich, in dessen Rahmen für Baumaßnahmen, die mit Erwerbslosen durchgeführt wurden, staatliche Zuschüsse gewährt wurden. Ansonsten war die finanzielle Situation des Deichbandes aufgrund der Vielzahl der durchzu­führenden Maßnahmen prekär, insbesondere nachdem mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Mitte der 50er Jahre und zunehmenden Arbeitskräfte­mangel die Förderungen durch den Staat zurückgingen. So entfachten sich Diskussionen über zukünftige Finanzierungsmodelle und die Organisationsstruktur des Küstenschutzes.

Aus dem im Jahr 1953 durchgeführten Nivellement der gesamten Deichstrecke des II. Oldenburgischen Deichbandes ging hervor, dass die Unterbesticke der Deiche deutlich höher als erwartet ausfielen und auf weiten Strecken auch eine erhebliche Verstärkung im Querprofil erforderlich wurde. Der damals gültige Bestick richtete sich nach den Werten der Sturmflut von 1906, der Flut mit den bis dahin höchsten Auflaufhöhen im Bereich der Wesermarsch.

Sturmflut 1962

Dass diese Besticke zudem in Zukunft bei weitem nicht ausreichen würden, zeigte die Sturmflut vom Februar 1962 mit aller Deutlichkeit. Eine größere Katastrophe wurde nur dadurch verhindert, dass die schlimmsten Schwachstellen – Elsflether Stadtdeich, Waddenser Deich, Tossenser/ Eckwarder Deich, Augustgroden/Sehestedter Deich – im Rahmen des 10-Jahres- Küstenplanes bereits verstärkt worden waren.

Die Analyse der Schäden der Februarflut von 1962 führte zur Neuauflage des Niedersächsischen Küstenprogramms und markiert den Beginn umfangreicher Deichbaumaßnahmen unter Berücksichtigung der neuen Anforder­ungen. Zudem wurde die Finanzierung neu geregelt – die Baumaßnahmen werden seitdem zu 70% mit Mitteln des Bundes und zu 30% mit Mitteln des Landes Niedersachsen gefördert – der II. Oldenburgische Deichband trägt die Kosten der ordentlichen Unterhaltung, die genossenschaftliche Struktur im Küstenschutz blieb erhalten. Gesetzlich werden die Änderungen im Niedersächsischen Deichgesetz vom 1. März 1963 festgeschrieben, welches die über hundert Jahre geltende Oldenburgische Deichordnung von 1856 ablöst.

Mit der Ausbesserung der Sturmflutschäden ging vielerorts – nach eingehender Diskussion und Festsetzung neuer Bestickhöhen – eine gleichzeitige Erhöhung und Verstärkung einher. Zunächst lagen die Schwerpunkte des Deichausbaus gegebenermaßen in den Bereichen mit sehr schweren Schäden wie in Augustgroden (1962-65) und mit schweren Schäden wie im Bereich Burhave-Fedderwardersiel (1962-66) und Blexer Groden (1962-64). Auch die sich als segensreich erwiesenen Baumaßnahmen zwischen Tossens und Eckwarderhörne sowie der Bau der Flutmauer in Elsfleth wurden weitergeführt. Zudem wurden die Deichstrecken im Bereich Elsfleth- Oberhammelwarden (1962-65) und Huntebrück-Wehrder (1962-68) erhöht und verstärkt.

Mitte der 60er-Jahre

Die Deichbruchstelle von 1962 in Brake-Käseburg wurde erst 1965-68 im Rahmen der Erhöhung und Verstärkung der Deichstrecke von Oberhammelwarden bis Brake auf ihren neuen Bestick gebracht. Weiterhin lagen Mitte bis Ende der 60er Jahre die Schwerpunkte der Bautätigkeit in den Bereichen: Brake (Fettraffinerie) bis Schmalenfleth (1964-70), Volkers Groden bis Tettens (1964-69), Eckwardersiel bis Beckmannsfeld (1965-72) und zwischen Jade-Wapeler Siel und Dangast (1964-69).

Ende der 60er-Jahre

Mit dem Beschluss der Länder Niedersachsen und Bremen in gemeinsamer Trägerschaft Sperrwerke an Lesum, Hunte und Ochtum zu bauen (Planfeststellungsbeschluss 8. Januar 1971), konzentriert sich die Bautätigkeit der 70er Jahre vorwiegend auf den Ausbau der Weserdeiche und die Gestaltung des Küstenschutzes im Bereich der außendeichs liegenden Industriebetriebe in Nordenham und Brake. Schwerpunkte hierbei lagen

  • in der Errichtung der Flutmauer im Stadtgebiet von Brake (1966-78) in 4 Bauabschnitten, darunter auch der Neubau der Schleuse zum Braker Binnenhafen und einer damit verbundenen Deichverlegung;
  • in der Deicherhöhung zwischen Schmalenfleth und Großensiel und der damit einhergehenden Umstellung der Entwässerung unter Schließung zahlreicher Siele entlang des Deichabschnitts nach dem Neubau von Sielanlagen mit Entlastungsschöpfwerken in Strohausen (1967-70) und Großensiel (1971-73);
  • in der Einbeziehung der Industriebetriebe Nordenhams und Brakes in den Küstenschutz und dem damit verbundenen Neubau einer Deichlinie entlang des Weserufers – teils als scharliegender Sanddeich mit schwerem Deckwerk (1972-76 im Bereich der Flugzeugwerke), streckenweise als Stahlbetonflutmauer (1977-1980 – Metallwerke, Seekabelwerk) ausgebildet.

Zwischen dem Sperrwerksstandort Elsfleth-Lienen und Brake wurde der Deich bis zum Beginn des Sperrwerksbetriebes 1979 zunächst nur durch eine provisorische Kappenerhöhung auf den erforderlichen Bestick gebracht; der profilmäßige Ausbau erfolgte erst in den Jahren 1980-84. Durch die Widmung der bereits privat errichteten Hochwasserschutzwände der Firma Midgard, Nordenham (1976-78) und der Fettraffinerie in Brake zur vorläufigen Hautdeichlinie gelang es schließlich, den bestickmäßigen Deichschutz bis 1979 zu gewährleisten und den Betrieb der Sperrwerke aufzunehmen.

Die 80er-Jahre

In den 80er Jahren verschiebt sich der Schwerpunkt des Deichausbaus wieder mehr in Richtung Butjadingen und Jadebusen: Während einige Deichabschnitte noch ihren ersten Ausbau im Rahmen des Küstenplans erfahren, wie z.B. hinter dem Vordeich zwischen Fedderwardersiel und Langwarden (1984-86), erfolgt in anderen Bereichen bereits eine wiederholte Aufhöhung und Verstärkung, da der erstmalige Ausbau der 50er/60er Jahre sich als nicht ausreichend erwies:

  • Instandsetzung der Betonmauer und Ausbau des Deckwerks auf der Strecke Eckwarderhörne bis Eckwardersiel (1988-96).
  • Erneute Erhöhung zwischen Eckwardersiel und Beckmannsfeld (1985-89).
  • Deichausbau im Bereich Kleihörne bis Schweiburgersiel (dieser wurde bereits in 70er Jahren begonnen; wegen des problematischen Untergrundes sowie Sonderlösungen im Bereich des Naturschutzgebietes „Schwimmendes Moor“ ziehen sich die Bauarbeiten jedoch bis 1986 hin).

Die 90er-Jahre

Ein großes Projekt der 90er Jahre stellen die Bauarbeiten im Bereich Fedderwardersiel dar, welche zeitgleich mit dem Neubau des Sieles die Lücke im Deichausbau in diesem Abschnitt schließen. Zudem musste zwischen dem Deichschaart Oberhammelwarden und der Werft Petram in Brake, aufgrund von Setzungen bis unter die Bestickhöhe, der Deich nochmals erhöht und verstärkt werden.

Ein Charakteristikum des Deichausbaus seit den 90er Jahren ist darin zu sehen, dass sich aufgrund der Notwendigkeit technisch immer umfangreicherer Baumaßnahmen und der damit verbundenen steigenden Finanzierungskosten die Baumittel auf einige größere Projekte konzentrieren. So bindet die große Baumaßnahme am Augustgrodendeich – von insgesamt 7.8 km Länge – die Ressourcen der Bautätigkeit im II. Oldenburgischen Deichband für lange Jahre; wegen des hier anstehenden ungünstigen Untergrundes und der damit verbundenen Gefahr von Rutschungen und Grundbrüchen stößt der Ausbau des Deiches auf NN +10.50m mit der zugehörigen Dimensionierung der Böschungen bauphysikalisch an seine Grenzen. Ein umfangreiches Überwachungsprogramm mittels Sonden soll Erkenntnisse über Entwässerung und Setzung – auch für zukünftige Projekte dieser Größenordnung liefern.

Die neuen großen Baumaßnahmen Anfang des 21. Jahrhunderts sind

  • Erhöhung des Deiches am Blexer Groden (2001-04).
  • Verstärkung des Stadtdeichs in Brake durch Einbau einer Dichtwand bis auf NN -8m mittels eines neuen erschütterungsfreien Bauverfahrens sowie die Instandsetzung und Erhöhung der Flutmauer um 30cm auf NN +7.40m. (2003-08).
  • Streckenweise Verlegung der Huntedeiche im Rahmen des weiteren Ausbaus der unteren Hunte unter Federführung des Wasser- und Schifffahrtsamtes Bremen.

Ausblick

Derzeit laufen die Planungen für den Deichausbau am südlichen Jadebusen zwischen Schweiburger Siel und Dangast. Da für diese Baumaßnahmen ein immenser Kleibedarf zu decken ist, wurde modellhaft ein neuartiges Kleisuchprogramm entwickelt, um den konträren Nutzungsansprüchen insbesondere mit dem Naturschutz gerecht zu werden.

Des weiteren ergab eine Überprüfung der Besticke an der Unterweser einen erneuten Ausbaubedarf. Deichausbau ist eine Daueraufgabe, da Deiche dynamische Bauwerke sind und somit Setzungen und Sackungen unterliegen. Zudem wird künftig auch verstärkt auf globale Veränderungen reagiert werden müssen.